Iconische beelden

The Afghan Girl

Es war 1984, während des Afghanistankriegs, als der Kriegsfotograf Steve McCurry seine Nikon FM2 zückte und ein Bild von einem afghanischen Mädchen schoss. McCurry muss seine Kamera schnell wieder in seine Tasche gesteckt haben, denn im Flüchtlingslager Nasir Bagh nahe der pakistanischen Grenze war das Fotografieren, insbesondere das Fotografieren von Frauen, aus religiösen und anderen Gründen streng verboten.

Sharbat Gula war 13 Jahre alt, als das Foto aufgenommen wurde. Bevor sie aus Afghanistan floh, verlor sie ihre Eltern bei einem sowjetischen Angriff, der sich Anfang der 1980er Jahre ereignete. Gemeinsam mit dem Rest ihrer Familie begab sie sich zu Fuß auf die Flucht. Es folgte eine Reise durch die Berge bis nach Pakistan, auf der Suche nach Sicherheit. Diese fanden sie schließlich im Lager in Nasir Bagh.

© McCurry, S. (1984) The Afghan Girl, Flüchtlingslager Nasir Bagh, Pakistan, Titelseite National Geographic (1985)

Die smaragdgrünen Augen der "Third World Mona Lisa"

McCurry nahm das Foto mit seiner Nikon FM2, einem Nikkor 105mm Ai-S F2.5 Objektiv und einem Kodachrome 64 Diafilm auf. Mit Filmen dieses Typs lassen sich in der Regel scharfe, farbintensive Fotos aufnehmen. Dies ist auch im Porträt von Sharbat zu erkennen. Es wird auch als "The Third World Mona Lisa" bezeichnet.

Das Foto vermittelt dem Betrachter den Eindruck, die wilden, smaragdgrünen Augen würden geradewegs durch ihn hindurchsehen. Dieser Eindruck wird durch den Kontrast mit ihrer rubinroten, zerrissenen Kopfbedeckung noch weiter verstärkt. Das Foto erweckt ein Gefühl der Verzweiflung, aber auch der Stärke. Ob gewollt oder nicht wurde Sharbat zum Symbol des Widerstands, der Vertreibung und der Selbstbehauptung. Aber auch der Darstellung des Afghanistankrieges und seiner Folgen.

In der westlichen Welt blieb das Foto nicht unbemerkt. Sharbats Porträt erschien im Jahr 1985 auf der Titelseite von „The National Geographic“ und wurde zu einem der bekanntesten Fotos der Geschichte, was dazu beitrug, dass in den USA nach 9/11 mehr Aufmerksamkeit für die Rechte der Frauen in Afghanistan entstand. Darüber hinaus hat „The National Geographic“ den „Afghan Children's Fund“ gegründet, dessen Aufgabe darin besteht, Kindern in Kriegsgebieten zu helfen. Auch die Zahl der freiwilligen Helfer, die sich bereit erklärten, in Flüchtlingslagern direkt vor Ort tätig zu werden, verzeichnete einen Anstieg. All dies verdeutlicht, wie ein ikonisches Bild, das in dem Bruchteil einer Sekunde entstand, die Welt in Bewegung zu setzen vermag.

Nach dem Foto

Bis sie von McCurry und seinem Team gefunden wurde, hatte Sharbat Gula keine Ahnung davon, dass ihr Porträt weltberühmt geworden war. In einem Interview mit der BBC blickt sie auf ihr Leben und das Foto zurück und erläutert dabei, dass sie diesem sowohl Leid als auch Glück verdankt. So wurde sie beispielsweise in einem pakistanischen Gefängnis inhaftiert, weil sie angeblich im Besitz falscher Aufenthaltspapiere war. Sie verwendete aber das Geld, das sie mit dem Foto verdient hatte, um Waisen und Witwen in Kriegsgebieten zu helfen. Nach dem Fall von Kabul unter dem Taliban-Regime im Jahr 2021 bat Sharbat um Hilfe bei der Ausreise aus Afghanistan. Italien sagte ihr entsprechende Unterstützung zu und seither lebt sie in Rom.